
Ich bin etwas, das die Menschen spaltet. Die einen halten mich für das Begehrenswerteste auf der Welt, die anderen können nichts mit mir anfangen und halten mich sogar für gefährlich. Wenn ich mir die Geschichte anschaue, dann bin ich dazu geneigt, der zweiten Gruppe eher zu vertrauen. Ich, als Macht, bin erst einmal neutral. Interessant wird es erst, wenn man sieht, was Menschen aus mir machen, wenn sie mich erst einmal besitzen. Eigentlich gibt es mich schon seit Menschengedenken.
Angefangen habe ich im Kleinen, zu Zeiten der Jäger und Sammler, als ich von all denen vereinnahmt wurde, die eine Menschengruppe angeführt haben. Meine Reich weite war damals noch sehr überschaubar und begrenzt. Im Laufe der Zeit wurde mein Einfluss je doch immer größer. Es entstanden ganze Herrschaftsreiche in Afrika, Europa, Asien und Amerika, in denen nur wenige Menschen einen Zugang zu mir hatten.
Die wenigen konnten aufgrund meiner Eigenschaften über andere Menschen herrschen, über Leben und Tod entscheiden und Teile von mir auch an andere Menschen übergeben. Ich wurde im Sinne einer Pyramide verteilt. Wer in der Gesellschaft ganz oben stand, verfügte am meisten über mich – je weiter unten jemand in der Hierarchie stand, desto kleiner wurde dieser Anteil an mir.
Früher wurde ich noch offen zur Schau gestellt. Es war ein Privileg, mich besitzen zu dürfen und zu demonstrieren, was man alles mit mir machen konnte. Heute ist das völlig anders. Bei mir ist es ähnlich wie mit der Liebe: Je mehr man von mir verteilt, desto größer werde ich. Allerdings mit einem sehr großen Unterschied: Die Liebe ist selbstlos und ich, die Macht, werde hauptsächlich dazu benutzt, um die Bedürfnisse meiner Besitzer zu befriedigen, denn eine weitere Eigenschaft, die eigentlich immer mit mir zusammen vorhanden sein sollte, fehlt den meisten meiner Besitzer: die Verantwortung.
Was macht mich denn so begehrt? Ich stelle jetzt einmal eine starke These auf: Ich bin wohl die härteste Droge auf dieser Welt. Wer mich einmal probiert hat, der will immer mehr und mehr und mehr … Nicht alle schaffen das, denn die Nachfrage ist groß. Wenn es um besonders viel Macht geht, dann schrecken einige auch nicht vor Mord und Totschlag zurück. Meist sind es die gewissenlosesten Menschen, die sich meiner bemächtigen, denn sie benötigen mich besonders dazu, um ihr oft minderwertiges Ego zu befriedigen – überhaupt sind die Geschichten mit mir oft sehr stark mit Blut getränkt.
Was sind das eigentlich für Menschen, die mich so sehr begehren? Oft hängt es davon ab, in welcher Position der Machtpyramide sie sich befinden. Generell handelt es sich häufig um Triebtäter, bei denen der Machttrieb mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Während die Machtbedürftigen auf den unteren Rängen oft ihre Triebe über Mobbing oder Machtspielchen ausdrücken und zumindest in Teilen noch so etwas wie ein Gewissen haben, hat sich die Spitze der Machtpyramide hinge gen schon nahezu komplett von der menschlichen Gesellschaft ab gekoppelt. Sie führen ein Leben, in welchem sie sich für unangreifbar halten und einige von ihnen haben den Anspruch, die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie sind meist hochgradige Narzissten, Soziopathen oder Psychopathen, die ihren Größenwahn ausleben wollen. Der Unterschied zu früher ist besteht je doch darin, dass die Machtverhältnisse vor 150 Jahren oder früher noch relativ transparent waren. In der heutigen Zeit ist es je doch oft klüger, die eigene Macht vor der Öffentlichkeit zu verbergen, je höher man in der Pyramide steht, um nicht angreifbar zu wer den. Heute werde ich primär über Vermögen definiert und nicht mehr über politische Ämter oder Monarchien. Dadurch besitzt heute nur noch eine geringe An zahl an Menschen eine solche Machtfülle, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie vorkam. Diese Machtfülle wird durch Korruption und das Einsetzen willfähriger Erfüllungsgehilfen, auch Politiker genannt, er reicht. Heute stehen mächtige Menschen oder Konzerne über dem Gesetz. Sie erreichen dies, in dem sie den Politikern die Gesetze vorgeben, die verabschiedet wer den sollen, damit sie letzten Endes von diesen Gesetzen profitieren können und unantastbar werden.
Damit diese ungesunden Strukturen für die Bürger nicht sichtbar und somit angreifbar werden, versteckt man sie hinter „gemeinnützigen“ Stiftungen, NGOs oder Verbänden, um nach außen hin et was Positives zu verkörpern. Damit das so bleibt, wird mithilfe der Presse dieses positive Bild in der Öffentlichkeit bis aufs Messer verteidigt. Kritik oder öffentliches Hinterfragen gleichen einem Sakrileg.
Ein wichtiger Punkt ist, dass ich als Macht niemals ewig bei einem Menschen oder einer Gruppe bleiben kann, denn so langsam, wie ich gekommen bin, gehe ich auch wieder. Wenn ich meinen Zenit erreicht habe und meinen Ab schied vorbereite, dann versuchen meine Besitzer um jeden Preis und mit allen Methoden, an mir festzuhalten, wie Junkies an der Spritze. Dass ich wieder gehe, ist ein natürlicher Prozess, der sich nicht aufhalten lässt. Wer aber jetzt versucht, mich festzuhalten und mir nicht die Möglichkeit gibt, mir neue Besitzer zu suchen, die einen Ausgleich zu meinen bisherigen Besitzern schaffen wollen, der wird die Welt unweigerlich ins Chaos stürzen, denn das Ziel der aktuellen Strukturen ist es, eine Weltherrschaft aufzubauen und die Bevölkerung über komplexe Überwachungssysteme zu kontrollieren. Auch wenn ich als Macht mittendrin bin, lehrt mich meine Erfahrung, dass dieser Versuch scheitern wird. Denn eines habe ich gelernt:
Wenn ich als Macht nicht mit ebenso viel Verantwortung einhergehe, sondern nur von grenzenloser Gier und Eitelkeit getrieben werde, dann werde ich eines Tages böse enden.
Comentários